Sonntag, 9. Juni 2013

Neulich am Grimmsteig - der Hellkopfsee

Wie der Hellkopfsee entstanden ist - eine Sage

Still liegt er da, der Hellkopfsee, eindrucksvoll mit seinen mehr als einem Kilometer Länge und fast 500 Metern Breite. Von oben betrachtet – also vom Grimmsteig aus, der oberhalb des östlichen Endes vorbeiführt, oder aber vom Turm der Reichenberger Burg – gleicht er beinahe einem norwegischen Bergsee oder einem schottischen Loch der Lowlands, wenn da nicht der Blick über die Ebene am westlichen Ende des Gewässers streifen würde, der zeigt, dass wir uns hier am Rande der Hessisch Lichtenauer Mulde befinden.


Naturgeschichtlich hat der Hellkopfsee mit schottischen Lochs oder norwegischen Bergseen so gar nichts gemeinsam. Er ist – wie viele seiner Kollegen in der Region - ein im letzten Jahrhundert von Menschenhand geschaffenes – oder besser verursachtes – Naturereignis.
Im Lande der Sagen und Märchen, der Grimms und der Holle drängt sich aber auch eine ganz andere „Erklärung“ für den geheimnisvollen See auf, eine Erklärung, die keine Rücksicht auf historische Wirklichkeiten nehmen muss. Eine solche Erklärung möchte ich Ihnen mit der folgenden Geschichte einmal vorstellen.

Frau Holle und ihre Katzen 

Frei nach U. Diederichs (Hrsg):  Hessische Sagen,  Frau Holle. Diederichs 3. Aufl. 1979, S. 83-86.

Es geht die Sage, dass Frau Holle auf ihrem Berge, dem Meißner, Macht über Mensch und Tier hatte. Die nutzte sie, um den Tüchtigen und damit Braven zu helfen und die Faulen und damit Bösen zu bestrafen. Die Holle war auch eine gestandene Frauenrechtlerin, die sich besonders um die misshandelten und verlassenen Frauen und Mädchen der Region kümmerte. Den örtlichen Legenden nach war sie selbst ursprünglich ein schönes und tugendsames Mädchen aus Dudenrode, deren versoffener und spielsüchtiger Ehemann das gesamte Hab und Gut der Familie verloren hatte und schließlich in die Sklaverei verkauft worden war. Offensichtlich kein Einzelfall in dieser Gegend.

Nachdem jedenfalls die mächtige Göttin Hulda der guten Holle aus Mitleid den Meißner als Wohnsitz gegeben und nahezu unbegrenzte Zauberkräfte verliehen hatte, machte die sich daran, verlassene Mädchen bei sich aufzunehmen. Möglicherweise waren nicht wenige von ihnen selbst schuld an ihrem Schicksal, denn irgendwann platzte der guten Holle der Kragen ob so vieler Eitelkeit, Eifersüchteleien und Streitigkeiten unter den eingesammelten Schicksen. Sie schüttelte die Zauberglocke, die sie von der mächtigen Hulda bekommen hatte und verwandelte die kreischende und keifende Mädchenbande in Katzen. Nahe dem Dorf Hausen mussten die Katzenmädchen nun in einer Höhle mit dem Namen Kietz(Katzen)kammer wohnen und der Frau Holle dienen.

Keine Frage, neben ihrer Vorliebe für das weibliche Geschlecht gehörte ein tiefer Gerechtigkeitssinn ebenfalls zu den Eigenschaften der vielschichtigen, schillernden und zauberkräftigen Bergmonarchin. Und so hatten die Katzenmädchen die Aufgabe, sich über Berg und Umlandland zu verteilen und den guten Wanderern den Weg zu weisen, die Bösen aber – wie es so harmlos heißt – in die Irre zu führen. Verständlich, dass die Holle in der Bevölkerung umstritten war.

Die Katzenfrau vom Hellkopfsee

von Wolfgang Schwerdt

Die Geschichte, die ich an dieser Stelle erzählen möchte, handelt von einem der Mädchen, die in jener offensichtlichen Anwallung von Jähzorn von der genervten Holle in eine Katze verwandelt wurden. Dieses Mädchen, nennen wir es Katzarina, war eigentlich eine ganz Nette und hatte sich selbst gar nicht an den ständigen Ätzereien ihrer Schicksalsgenossinnen beteiligt. Aber wie heißt das bekannte Sprichwort: mitgefangen, mitgehangen. Nun, von Hängen war ja glücklicherweise in diesem Fall nicht die Rede. Also streifte Katzarina auf der Suche nach besagtem guten oder bösen Wanderer eines Tages wieder einmal samtpfötig so durch die Gegend.

Kein Problem war es übrigens, schlechte Menschen auf den Wegen über und um den Meißner zu finden. Gierige Händler, skrupellose Junker nutzen die Wege ebenso, wie der eine oder andere Strauchdieb und nicht zu vergessen, die besoffenen faulen Ehemänner, denen die gute Holle den Kampf angesagt hatte. Sich bei Bedarf in die Gestalt eines schönen Mädchens zu verwandeln, die Burschen zu verführen und in die Tiefen und Schluchten des damals wilden Hollelandes zu locken, war eigentlich nicht sonderlich schwierig. Wenn da nicht die gutsherrlichen Jäger gewesen wären, die sich die Ausrottung der wilden Katzen zur Aufgabe gemacht hätten. Die Gefahr war groß, während des Lauerns auf menschliche Beute, selbst von einem der Grünkittel mit ihren geifernden Hunden gejagt und erlegt zu werden.

Eigentlich hatte Katzarina an jenem denkwürdigen Tag ohnehin keine Lust auf Stress. Die Chance, wenigstens einem guten Menschen zu begegnen, der ihrer Hilfe bedurfte,  war sowieso nicht groß. Entweder der Gute war ein Einheimischer, dann kannte er sich hier aus. Fremde konnten sich zwar verirren,  waren aber als solche natürlich immer mit Misstrauen zu betrachten. Und so trieb sich Katzarina mal wieder am Fuße des Hell- oder Hollekopfes herum, des Berges, der gewissermaßen als Außenposten der Holle galt und von den Menschen als ungemein gefährlich gemieden wurde. Nun gut, der Holle war diese Art der Arbeitsverweigerung gar nicht recht, aber die war mal wieder oben auf dem Meißner damit beschäftigt, treulose Ehemänner in Rinder zu verwandeln und auf der Kalbe grasen zu lassen. Und bei aller Zauberkraft, überall konnte auch die alte Holle nicht sein.

Die Dämmerung war schon hereingebrochen, da hörten Katzarinas empfindliche Ohren wie sich jemand durch das Dickicht kämpfte. Aus ihrem Versteck konnte sie schließlich den Verursacher der Geräusche erspähen. Es war der hübsche Sohn einer in den letzten Jahren zu erstaunlichem Wohlstand gekommenen Leineweberfamilie aus Hopfelde, Kulle genannt. Katzarina hatte schon ein Auge auf ihn geworfen, als sie noch ein tugendhaftes und schüchternes Mädchen war. Dass er hier nichts zu suchen hatte, stand außer Zweifel. Obwohl, nichts zu suchen, trifft es wohl nicht ganz. Denn Kulle hatte neben einer Lampe auch noch eine Schaufel und eine Hacke bei sich und steuerte geradewegs auf die zerklüftete Felswand am Fuße des Hellkopfes zu.

Das verwunschene Mädchen sprang hinter dem stattlichen Burschen her. Als sie durch den verborgenen Eingang zu einem am Boden einer Grube in den Fels getriebenen Stollen trat, da sah sie, wie Kulle Amethyst, grünen Quarz und andere Edelsteine des Schatzes der Holle aus dem Felsen brach und in seine Tasche stopfte. Kein Wunder, dass seine Familie so wohlhabend war, während die anderen Leineweber des Ortes täglich um ihre Existenz kämpfen mussten. Katzarina, nun verwandelt in das attraktive junge Mädchen, das sie ja eigentlich war, trat dem diebischen Hopfelder in den Weg: „Halt Bursche“, rief sie und funkelte ihn mit ihren Katzenaugen an, während ihre Fingernägel genüsslich aus und einfuhren, „wie kommst du dazu meine Herrin zu bestehlen.“

Kulle betrachtete Katzarina, die nur bekleidet mit ihrem weichen Katzenfell vor ihm stand, mit sichtlichem Vergnügen. „Was willst du schon tun, um mich aufzuhalten“, grinste er und steckte demonstrativ einen besonders schönen Kristall in seine Tasche.

„Unterschätz mich nicht“, fauchte das Katzenmädchen, „meine Herrin, die Holle, hat mir aufgetragen, böse Menschen zu verführen oder so. Und du bist nun mal ein ganz Schlimmer“, sprachs und fiel ihrem Geliebten wie jedes mal, wenn sie sich hier trafen, um den Hals.

Diesmal aber wurden sie beobachtet, von einer der eifersüchtigen Schicksen, die der Holle ebenfalls als Katze zu Diensten sein musste. Und kaum hatte sie gepetzt, da stürmte und donnerte die wütende Bergkönigin vom Meißner herunter, dass der Boden erzitterte, und der Stollen einbrach, sodass die beiden Liebenden verschüttet wurden.

Kulle starb bald nach dem Unglück an Hunger und Durst, Katzarina aber konnte aufgrund des Fluches der Holle nicht sterben und muss nun auf alle Ewigkeit einsam im Hellkopf hausen. Über den Verlust ihres Geliebten weinte sie bitterlich und die Tränen begannen nach und nach das Tal zu füllen, so dass der Hellkopfsee entstand. Noch heute kann der Wanderer zu ganz bestimmten Zeiten das Gesicht des unglücklichen Katzenmädchens unter der Wasseroberfläche erblicken. Und wenn im Sommer ein besonders hübscher Schwimmer unvorsichtigerweise den See durchpflügt, kann es schon mal vorkommen, dass ihn sich die einsame und verführerische Katzendame schnappt und mit in den Berg nimmt, um ihm ihre Edelsteinsammlung zu zeigen.

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